Suizid-des Teufels liebstes Kind.


Ein kalter regnerischer Tag.

Ich gehe mit Sela meine Morgenrunde um den See im kleinen Park.

Es regnet in Strömen und der kalte Wind fegt uns vereinzelt Blätter aus den Bäumen um die Nase.

Ich bin in Gedanken und mein Kinn versteckt sich im Kragen meiner Regenjacke. 

Sela stört das Wetter nicht, sie ist ein Hund der auch bei Wind und Regen gerne draussen ist. 

Durch den Vorhang stetig fallender Regentropfen, erblicke ich eine Gestalt, die uns entgegen kommt.

Ich nehme Sela näher zu mir, denn noch duldet sie es nicht, wenn jemand in unseren Raum eindringt.

Obwohl die Gestalt noch einige Meter entfernt ist, spüre ich, hier stimmt etwas nicht. 

Ich bleibe stehen und mache den Weg frei, um den jungen Mann, bei dem es sich um die entgegen kommende Gestalt handelt, vorbei gehen zu lassen. Warum hat der Junge, der ca. im Alter meiner Tochter ist, keine Jacke an? 

Warum?,,,,,,,,,

Der junge Mann steuert nun direkt auf mich zu, als er noch ca. 2 Meter von mir entfernt ist, sage ich:

" Halt, bitte nicht näher kommen, wie kann ich dir helfen?"

Ich sehe in den Augen des Jungen eine tiefe Verzweiflung, sein Körper drückt den Schmerz und Kummer aus, den er empfindet.

"Entschuldigen Sie, ich bin auf der Suche nach meinen Vater, haben Sie diesen Mann vielleicht gesehen?" 

er streckt mir sein Handy, mit dem Bild seines Vaters entgegen. Ich sehe auf das Bild, ein attraktiver Mann in meinem Alter ist zu sehen. Ich entgegne:" nein, ich habe diesen Mann nicht gesehen, ich habe Niemand gesehen bisher, ist er krank oder verwirrt? "frage ich, denn warum sonst sucht der Junge nach seinem Vater? Der Junge antwortet:" nein, er ist vollkommen gesund, er hat einen Abschiedsbrief hinterlassen und ist verschwunden, sein Auto steht hier auf dem Parkplatz, er muss hier irgendwo sein."

"Einen Abschiedsbrief?"frage ich, "ja einen Abschiedsbrief mit der Ankündigung sich das Leben zu nehmen", antwortet der Junge. Ich weiß nicht was ich sagen soll, es erscheint mir als würde der Himmel dunkler und der Regen stärker. Der Junge sagt:" wenn Sie ihn sehen, kümmern Sie sich bitte um ihn und rufen die Polizei, diese ist bereits informiert.""Warum hast du keine Jacke an? Es ist viel zu kalt, dein TShirt ist bereits völlig durch nässt, du erkältest dich." Höre ich mich sagen. Ich weiß nicht warum, aber plötzlich fühle ich mich, als wäre dieser fremde junge Mann ein Teil von mir und mir fällt beim besten Willen nichts ein, was ich sagen kann, ausser meiner Besorgnis um den Jungen, Ausdruck zu verleihen.

Er antwortet:" ich bin aus dem Haus gestürzt, um meinen Vater zu suchen, ich habe die Jacke vergessen. Ich habe solche Angst, dass er sich etwas angetan hat, dass er tot sein könnte, ich,,,," die Stimme des Jungen bricht unter der Schwere des Kummers. "Wir machen jetzt folgendes" sage ich." Du gehst erst einmal nach Hause und ziehst dich vernünftig an, ich suche hier weiter nach deinem Vater.""Ich kann doch jetzt nicht hier weg gehen, sein Auto ist doch hier, er muss hier sein, ich muss ihn finden, er kann doch nicht einfach schreiben, dass er sich umbringt, ich verstehe das nicht" schluchzt der Junge. Der Regen prasselt auf uns nieder, während leises Donnergrollen eine Synfonie des Grauens hervor bringt.

Der Regen auf meinem Gesicht mischt sich mit den Tränen die mir die Wangen hinab rinnen. Ich sage:" ok, ich suche im Unterholz und an den Bahngleisen entlang, du suchst hier weiter, sollte ich ihn finden, rufe ich laut und bleibe auf jeden Fall bei ihm. Meine Hündin wird bellen, wenn jemand im Gebüsch ist, selbst wenn ich ihn nicht sehe, sie wird ihn mir anzeigen." Ich verabschiede mich und mache mich mit Sela auf den Weg. Ich lasse ihr lange Leine und gemeinsam streifen wir durch das anliegende Unterholz sowie die zugewachsenen Flure, um uns dann entlang der Bahngleise zu bewegen. Sollte hier irgendwo ein Mensch sein, so wird Sela Ihn anzeigen, dass weiß ich zu hundert Prozent. "Bitte Vater, ich bitte dich von ganzen Herzen, lass mich den Mann finden, bitte Vater hilf mir, lass ihn hier irgendwo sein, lass ihn mich finden, bitte Vater." Ununterbrochen sage ich mein Gebet laut vor mich hin, ich bete und bitte, und bitte und bete. Der Regen prasselt unaufhörlich auf mich nieder. Meine Kleidung, meine Schuhe sind völlig durchnässt. Sela hällt mit mir Schritt. Doch sie verhällt sich völlig normal, hier ist niemand, so denke ich. Mein Blick schweift zu dem kleinem See, den der Junge umrundet, etwas in mir sagt, dort ist er Donatella. Er ist im Wasser. Ich möchte diesen Gedanken nicht denken, ich möchte gar nicht mehr darüber nach denken, was ich hier mache. Nachdem ich noch einige Zeit gesucht habe, mache ich mich auf den Heimweg. Sela ist zwar durch ihr Fell gut vor dem Regen geschützt, jedoch sollten wir beide jetzt langsam ins Trockene. Ich fühle Trauer und Kummer und Mitgefühl. Mein Schritt entbehrt seiner sonstigen Dynamik und ich spüre die Tragödie am eigenem Leib. Feuerwehr, Polizei und Taucher sind in den nächsten Tagen damit beschäftigt den See ab zu suchen, ich meide das Gebiet. Letztendlich wird der Mann aus dem Wasser geborgen. Er hat sich ertränkt, berichtet der Stadtanzeiger. 

"Vater, warum hast du nicht geholfen, warum hast du den Mann sterben lassen?" Frage ich Gott. 

"Ich kann nichts tun, wenn der Mensch es nicht zu lässt, ich gab euch einen freien Willen und so seid ihr frei zu tun, was ihr tun wollt, ansonsten wäret ihr doch nur Marionetten.


" Zwei Wochen darauf klingelt mein Telefon. Ich nehme ab, Gunnar mein Versicherungs Vertreter ist am Telefon. Seine Stimme lässt erahnen, dass etwas geschehen sein muss, etwas das ihm Kummer bereitet. Nach den üblichen Höflichkeitsfloskeln, frage ich gerade heraus:" Gunnar, was ist los?" Denn eigentlich sind wir uns zwar sehr sympathisch, pflegen jedoch keine persönliche Beziehung zueinander. Es wird still am Telefon und ich wiederhole meine Frage:" was ist los Gunnar, warum rufst du an?"

"Donatella, meine Frau hat sich umgebracht, sie hat sich in unserem Haus erhängt, während ich Brötchen holen war."

Stille,,,,,,,,,,,,,,

"Ich verstehe das nicht und ich dachte, ich rufe dich an, weil du selbst suizidgefährdet bist und in psychiatrischer Behandlung, warum Donatella, warum? Was geht denn in Euren Köpfen vor? Warum macht ein Mensch so etwas?" fragt mich Gunnar mit tränenreicher Stimme.Was soll ich sagen, denke ich, die Dämonen sind mächtig und böse, sie sind stark, denke ich.

Doch ich sage:" Gunnar, zuerst einmal, dich trifft keine Schuld. Hörst du, du bist nicht Schuld am Suizid deiner Frau und du hättest es auch nicht verhindern können."Wir reden eine lange Zeit. Seine Frau war bereits seit längerem in Behandlung. Depression usw. Ähnlich meinem eigenem Krankheitsbild, wurde sie erst vor kurzen aus der Psychatrie entlassen. Eigentlich sah doch alles ganz gut aus,,,,,

Eigentlich,,,, ist sie jetzt tot.

In den darauf folgenden Wochen, habe ich Gunnar so gut ich konnte mental bei gestanden. Doch so etwas braucht Zeit, nur die Zeit heilt diese Art von Wunden. Ich weiß, ich habe zumindest das Richtige zu ihm gesagt und bin dankbar, dass er mir vertraute.


Mir ist bewusst, nichts geschieht grundlos in meinem Leben. Natürlich wären mir Sommersprossen lieber als Tränensäcke.

Dass ich diesen Kummer erlebt habe, das Leid des Sohnes und das Leid des Ehemannes, die beide, geliebte Menschen durch Suizid verloren haben. Dass ich mit aller Macht und Wucht mit dieser Trauer, diesem Kummer, dieser Hilflosigkeit, diesem Schuldgefühl, diesem Wirken des Teufels betraut wurde, hat mich eines erkennen lassen. Mein eigener Suizid wäre niemand nützlich, weder meinem Kind noch meiner Seele.

Der Gedanke, es wäre doch besser, ich bin tot, als dass Melanie eine solche Mutter hat, ist eine Falle des Teufel. Dass weiß ich jetzt.


"Vater, ich danke dir für deine Schau, du hast mich erkennen lassen, wie sinnlos jeder Suizid ist, 

nichts ist damit gewonnen und alles verloren. 

 Danke Vater, danke."

Ich bete für den Vater und die Ehefrau. Möge Eure Seele in Frieden ruhen. Amen


Leid lehrt,,,,,,,