Anno 1966-1972

 

Ich lebe in Italien, in den Bergen. Ich erinnere mich an gegrillte Maiskolben, Paprikaschoten.

Ein Garten, Ziegen.

Meine italienische Großmutter macht Ziegenkäse. 

Es ist still und die Sterne sind nahe. 

Mein Bruder Francesco ist bei mir. 

 

Meine Mutter trennt sich von meinem Vater, sie geht mit mir nach Deutschland zurück.

Francesco bleibt bei meinem Vater.

Mein Vater interessiert sich nicht für mich, ich bin ein Mädchen. 

 

Manchmal steht die Zeit still, in Köpfen ohne Herz.

 

Anno 1973-1977 

 

Ich sitze auf dem Boden, mein Bruder Andi krabbelt um mich herum. Mit seinen kleinen Händen ertastet er die Welt. Ich sehe ihm zu. Ich bin ein stilles Mädchen, ich rede selten. In der Schule habe ich Probleme. Ich spreche schlecht Deutsch, stinke und bin anders. Keiner will wirklich mit mir etwas zu tun haben. Meine Kleidung ist schmutzig, ich bin es auch. Mama kam eines Tages nach Hause und hatte ein Baby im Arm, das ist Andi, mein Bruder, er ist noch ganz klein, ich bin schon groß, denn ich bin 7 Jahre älter als er. Als sie nach Hause kam, sagte sie:

 

“ Hexerl, du hast jetzt einen Bruder “ sie gab ihn mir und ich hielt ihn fest an mich gedrückt, damit er nicht runter fällt, er roch gut. Wenn Mama sonst nach Hause kam, nachdem sie Tage weg gewesen war, dann roch nichts gut und sie war dann oft verletzt oder sie war böse mit mir. Dieses male war sie nicht böse und sie sah anders aus, keine Verletzungen im Gesicht. Ich bin glücklich.

 

Dieter der Freund meiner Mama nimmt mir Andi wieder weg und sagt, ich soll in mein Zimmer spielen gehen.

 

Ich sitze in meinem Zimmer und erinnere mich an meinen anderen Bruder Francesco.

 

Ich kann mich nicht so richtig an ihn erinnern, aber ich sehe uns beide immer unter einem Sternenhimmel und die Sterne sind ganz nahe. Er hält meine Hand und ich bin glücklich. Er war so alt, wie ich jetzt, denn er ist 7 Jahre älter als ich. Er war so wie ich jetzt und ich so wie Andi jetzt. Ich freue mich das Andi hier ist, wo kommen denn die Babys her? Holt man die irgendwo ab? Und wird man uns auch trennen, so wie Francesco und mich? Ich fühle Angst und setze mich in die Ecke meines Kinderzimmers, hier sitze ich oft, neben dem Fenster und gucke in den Himmel, dort lebt Gott, ich weiß nicht, wer Gott ist, aber irgendwie kenne ich den Namen Gott, und das er im Himmel lebt. Mama hat das gesagt. Und wenn ich nicht brav bin, ist er böse mit mir. Ich versuche brav zu sein, schaffe es aber nicht immer. Jetzt habe ich Andi zum Spielen, ich freue mich. 

 

Mama kommt nach Hause.

 

Andi fest an mich gedrückt schleiche ich in unser Kinderzimmer. Ich lege ihn in mein Bett und er weiß, er muss schweigen. Stille, Ruhe, nur nicht auffallen. 

 

"Hexerl, es wird alles besser, ich werde mich um euch kümmern, ich liebe euch, alles wird gut."

 

Ich gehe zu Andi, er ist eingeschlafen.                                      

                                          

Nacht. Ich höre die Türe aufgehen.

Dieter der Freund meiner Mutter, er hat getrunken, seine Hand unter meiner Bettdecke.

Ich halte die Luft an und bin erstarrt.

Ich kann mich nicht bewegen, mein Herz klopft bumbumbumbumbumbumbum.

 

Es riecht nach Alkohol. 

Es riecht so komisch

 

Ich habe im Kopf eine Melodie, ich weiß nicht woher sie kommt aber, die Melodie beruhigt mich. Ich ziehe Andi ganz nahe heran, streiche über sein weiches Kinderhaar.

Irgendwie habe ich uns etwas zu essen besorgt. 

 

Ich weiß, wie man stiehlt, ich weiß, wie man weg läuft, ich weiß, wie man ausweicht. 

 

Ich höre Mama rufen, dieses weinerliche Rufen, einer betrunkenen Frau.

Ich gehe ins Schlafzimmer, sie hat Streit mit ihm. ER, ist der Mann der jetzt auch bei uns wohnt, seitdem trinkt D. noch viel mehr und es gibt sehr oft Streit. D. sagt, ER, ist Mamas Zuhälter, ich verstehe das nicht so richtig, was hält er denn für Mama zu? ER, hat lauter bunte Bilder auf seinen Armen und ist groß und breit und böse. ER trinkt immer und haut dann die Mama. Ich mag es gar nicht, dass er Mama weh tut, ich weiß ja, wie schlimm es ist, gehauen zu werden. Ich habe versucht ihr zu helfen, da hat ER mich auch gehauen und ich habe zwei Zähne verloren, jetzt kann ich sie nicht der Zahn Fee geben und mir etwas wünschen, weil ich sie vor Schreck verschluckt habe. Außerdem gehe ich nicht gerne zur Schule wenn ich so blaue Flecken im Gesicht habe, die kann ich nicht verstecken und alle gucken dann immer so doof. Ich gehe überhaupt, nicht gerne zur Schule, denn alle Kinder sind ganz anders als ich und ich habe auch keine Freunde, aber ich will schon etwas lernen, denn ich möchte später Geld verdienen, damit Andi und ich zusammen leben können und etwas zu essen kaufen können. Und man muss wenigstens lesen und schreiben lernen und rechnen.

 

D. ist immer traurig, er trinkt ganz viel Bier und weint. Alle weinen, nur ER, nicht.

ER, lacht uns aus. Ich wünsche mir jeden Abend, dass ER, weg geht und nie wieder kommt. Ich bete zu Gott, er wird mich auch bestimmt hören, aber er hat auch viel zu tun, bei so vielen Kindern die zu ihm beten und erst kommen die lieben Kinder dran. Ich bin ja nicht immer so lieb.  

 

ER, redet,

ER, sagt Dinge.

ER, ist betrunken. 

ER, schlägt mich. 

ER.............

 

Mama ist betrunken, es riecht nach Alkohol, es riecht so komisch.

Sie nimmt meine Hand, zieht mich zu sich in das Bett, alles ist schmutzig, es ist warm in diesem Raum.

Sie umarmt und erdrückt mich mit dem Fett ihres Leibes. 

Meine Mutter lallt:" alles wird gut, wir machen es uns schön Hexerl"

Mama schläft ein.

 

ER schläft nicht. 

 

Nahe der Straße, wächst eine einzelne Blume, kaum beachtet von den vielen Erdenbürgern, die täglich an ihr vorüber gehen.

Ich setze mich zu der Blume. Still sitze ich am Straßenrand und betrachtet das Gebilde der Natur. Gedanken, ein Meer von Gedanken durchpflügen mich. Sie werden zu einem Orkan und ich werde wütend. Der Zorn, es einfach nicht ausdrücken zu können, diese Gedanken. Es niemals in Worte fassen zu können, was ich wirklich fühle, denke, empfinde. 

 

Wie bunt doch die Welt eines Alkoholikers ist, wie grau die, deren Kinder.                                              

 

Wir wohnen in einem Mietshaus mit 6 Stockwerken. Man kann oben durch die Luke auf das Dach. Es ist ein Flachdach. Ich nehme Andi und gehe mit ihm auf das Dach. Ich setze mich an den Rand, lasse die Beine baumeln.

Ich halte sein Herz in Händen. BumBum 

Ich stehe auf, nehme seine kleine Hand und wir beide stehen nahe am Abgrund. Wenn ich jetzt mit Andi falle, kommen wir dann in den Himmel?

Ich drehe mich weg und gehe mit Andi zurück in unser Leben.

 

Wir waren auch einmal bei einer Frau, die hat tagsüber auf uns aufgepasst. Sie sagt, wenn man sein Pippi trinkt, bleibt man gesund und bekommt auch keine Krankheiten. Also musste ich immer mein Pippi trinken, ich erinnere mich nicht so gut an sie, aber an das Pippi trinken, erinnere ich mich, es war komisch.

 

Oma und Opa wissen, wie wir leben und sie schämen sich für uns, also kommen sie nicht mehr. Oma hat immer so gut gerochen und glitzernden Schmuck getragen und ganz feine Anziehsachen. Der Opa ist ein ganz großer dicker Mann, er hat aber immer im Auto gewartet, wenn Oma da war. Jetzt kommen sie nicht mehr und bringen uns auch nicht mehr zu fremden Leuten, ich bin froh, denn ich bin am liebsten alleine hier, mit Andi.

Als ich einmal bei Oma und Opa war und lesen als Hausaufgabe machen musste, habe ich immer Nikolaus, statt Osterhase, vorgelesen. Ich weiß nicht warum, ich es immer und immer wieder falsch gelesen habe. Der Nikolaus bringt bunte Eier. Natürlich bringt nicht der Nikolaus die bunten Eier, sondern der Osterhase. Der Opa war richtig böse mit mir und hat mir immer wenn ich es falsch gemacht habe, auf den Mund gehauen. Ich habe es wieder und wieder falsch gelesen. Die Oma ist dann auch böse geworden und hat gesagt, ich wäre das dümmste Kind, das es auf der Welt gibt, genau wie meine Mutter. Und der Opa hat gesagt, Donatella, das ist ein Itakername und ich heiße ab sofort Nelly. Also bin ich jetzt Nelly. Was ist ein Itaker?

Und warum reibt der Opa unter dem Tisch immer sein Bein an meinem Bein? es macht mir so ein komisches Gefühl und ich möchte schnell weg laufen, nach Hause zu Mama. 

 

Mama hat mir ein weißes Kleid gekauft und weiße Schuhe und eine Kerze. Sie sagt, jetzt wird alles gut, sie hört auf zu trinken und wir machen es uns schön, ich freue mich so sehr.

Heute ist ein besonderer Tag. Ich gehe heute zur Kommunion, dann bin ich mit Jesus verbunden, er ist dann mein Bruder, so wie Andi.

Jesus ist der Sohn von Gott, wenn er dann mein Bruder ist, ist dann Gott auch mein Vater? Andi ist mein Bruder, aber er hat einen anderen Vater. Mama sagt, Er, ist Andis Vater, aber das glaube ich einfach nicht. Andi ist ein Engel und Er, ist der Teufel. Ich glaube schon, dass es einen Teufel gibt und zu ihm komme ich, wenn ich nicht brav bin, denn Gott liebt nur brave Kinder, sagt Mama. Ich wünsche mir, dass Gott mein Vater und Andis Vater ist und auch der Vater von Francesco Ich habe Francesco nicht vergessen, auch wenn ich nicht mehr genau weiß, wie er aussieht. Wir waren ihn besuchen, aber ich erinnere mich nicht mehr richtig daran. Mama sagt, wir fahren ihn wieder besuchen, wenn ich lieb bin. Ich will ganz lieb sein, dann lernt Francesco auch Andi kennen und wir drei sind zusammen, wie schön das wäre.

Es ist Sonntag und ich bin schon ganz früh aufgestanden, Mama schläft noch aber D. ist schon wach, er sitzt in der Küche und trinkt Bier. Ich gehe mich waschen und ziehe Andi an. Ich suche seine schönsten Sachen raus.

Er merkt, dass ich aufgeregt bin und ist auch ganz aufgeregt, er ist immer so wie ich, bin ich traurig, ist er auch traurig, bin ich glücklich, ist er auch glücklich. Er ist auch nie böse, wenn ich ihn mal schlage, weil ich manchmal so zornig werde, aber dann nehme ich ihn in den Arm und sage ihm, dass es mir leid tut und ich will ihn auch nicht mehr schlagen, denn mir ist dann immer ganz schlecht, weil ich weiß das es nicht gut ist, geschlagen zu werden. Ich mag es ja auch nicht, wenn Mama mich schlägt. Aber ich nehme nie den Kochlöffel oder den Holzkleiderbügel oder den Gürtel, so wie Mama das bei mir macht, Ich haue ihn immer mit der Hand. Mama haut mir immer ins Gesicht und auf den Kopf, ich haue Andi immer nur auf den Hintern. Ich habe in der Kirche gebeichtet, dass ich nicht immer lieb bin, man geht nämlich zur Beichte und sagt dem Pfarrer was man schlimmes gemacht hat und dann verzeiht Gott einem, wenn man Busse tut.

Der Pfarrer sagt, ich muss 5 Vaterunser beten. Ich kann das ganze Vaterunser auswendig und es ist wirklich lang. Ihm habe ich erzählt, dass ich manchmal so zornig bin, weil Mama mich so fest haut und dann bin ich genauso zu Andi und dass ich manchmal weg laufen will von Zuhause. Der Pfarrer hat gesagt, man muss seine Eltern lieb haben, das steht in den 10 Geboten, die kann ich auch schon auswendig, ich bin gar nicht so dumm.

Und ich soll beten und dann ist alles gut. Also bete ich wie irre. Ganz viel. Und heute darf ich das erste male zur Kommunion und werde Jesus Schwester, ich freue mich so sehr. Ich bin auch immer zum Kommunionunterricht gegangen, da habe ich Andi in seinem Kinderbett fest gebunden damit ihm nichts passiert. Ich binde ihn immer mit meinem Schal in seinem Kinderwagengeschirr, an die Gitter seines Bettes. Er schläft ja immer bei mir, aber er hat auch in Kinderbett, darin lege ich ihn nur, wenn ich nicht da bin. Andi ist fertig gewaschen und angezogen, wir haben nichts zu essen im Kühlschrank. Ich gucke in Mamas Schlafzimmer, da stehen manchmal Bierflaschen. Er, ist nicht da. Wenn Er, da ist, schläft er bei Mama. D. schläft im Wohnzimmer auf der Couch.

Mama schnarcht, es riecht immer komisch, in diesen Raum, ich bin nicht gerne hier. Manchmal muss ich hier schlafen, aber dann schleiche ich mich immer weg, wenn Mama tief schläft. Am liebsten schlafe ich mit Andi in meinem Bett. Zum Glück stehen ein paar leere Flaschen neben dem Bett. Ich ziehe mir schnell eine Hose und einen Pullover an, sage Andi, dass ich gleich wieder da bin und er nicht aus dem Kinderzimmer gehen darf. Er weiß dass es Prügel setzt, wenn er nicht hört, aber nur weil ich Angst habe, wenn er nicht im Kinderzimmer bleibt, ich will nicht, dass Er, Andi weh tut. Ich laufe ganz schnell zum Kiosk an der Ecke und gebe die Flaschen zurück und hole nebenan beim Bäcker vier Semmeln, ich freue mich, vier Semmeln reichen für den ganzen Tag. Der Supermarkt hat noch nicht auf, sonst hätte ich auch schnell Butter gestohlen, zur Feier des Tages Brötchen mit Butter, wie glücklich ich bin. Aber stehlen darf man auch nicht. Du sollst nicht stehlen, steht in den 10 Geboten. Auch nicht wenn man nichts zu essen hat? Ich werde den Pfarrer fragen. Ich laufe schnell nach Hause, die Brötchen sind noch warm und außerdem, heute ist doch Sonntag, da macht der Supermarkt gar nicht auf, Sonntag ist der Tag an dem man in die Kirche geht und an Gott denkt und keiner arbeitet, aber die Straßenbahnfahrer arbeiten, manchmal verstehe ich das nicht, was man darf und was nicht, als Gottes Kind.

Andi sitzt ganz brav in seinem Bettchen, ich höre D. wie er mit Mama streitet. Ich mache die Türe unseres Kinderzimmers zu und kaue eine Semmel ganz weich, es ist noch warm und so lecker, ich kaue so lange bis es ein Semmelbrei ist und gebe es dann Andi, ich spucke es ihm in die Hand, das machen wir immer so und Andi jauchzt dann und lacht mich an und schiebt sich den Brei in den Mund. Er hat ja noch keine richtigen Zähne und ich kaue immer alles vor, damit er nicht so lange auf der Semmel rum lutschen muss, heute haben wir es doch eilig. Ich höre D. schreien und Mama zurück schreien. Andi kuschelt sich an mich, ich liebe ihn so sehr und wenn ich groß bin, dann leben wir zusammen und haben einen Hund. Ich ziehe mein weißes Kleid an und die weißen Schuhe und nehme die weiße Kerze und bin so stolz, heute wird Gott sehen, dass ich lieb bin und er wird uns helfen. Leider habe ich keine Strümpfe und es ist kalt an den Beinen, in der Kirche ist es immer kalt, aber das macht nichts, heute wird alles gut.

D. kommt zu uns ins Zimmer und sagt, wir gehen, Mama kommt nicht mit. Er hat viel getrunken, am liebsten würde ich mit Andi alleine gehen.

Alle Kinder sind hübsch angezogen und die Erwachsenen auch, wir stehen getrennt von den anderen, wir sind immer alleine für uns, ich trage Andi, er verknittert mein Kleid. Jetzt geht es los, wir laufen immer zwei Kinder nebeneinander in der Mitte, nach vorne zum Altar, das ist Gottes Tisch.

D. sitzt ganz hinten in der Kirche mit Andi, Andi schreit, dass macht er immer, wenn er nicht bei mir sein kann, ich habe ganz kurz Angst um ihn, aber dann fällt mir ein, wir sind doch in der Kirche, hier passt Gott auf Andi auf. Wir singen Lieder und wir dürfen ganz vorne in der Reihe sitzen. Endlich ist es soweit, jetzt bekommen wir den Leib Christie. Als ich dran bin, öffne ich meinen Mund und strecke die Zunge raus, damit der Pfarrer mir den Leib Christie auf die Zunge legen kann, ich sage Amen und mache einen Knicks vor Jesus, der am Kreuz hängt und so traurig aussieht und so verletzt, ich denke an ihn und an die Dornen, die in seinen Kopf stechen und die Nägel in Händen und Füßen, wenn er so leiden musste, ist es wahrscheinlich gut, dass es uns auch schlecht geht, da sieht er, dass er nicht alleine traurig ist, denke ich und wenn er Gottes Sohn ist, warum muss er dann so leiden ? dass verstehe ich nicht, denn Gott ist doch ein lieber Vater, oder? der Leib Christie klebt an meinem Gaumen und ich bekomme ihn gar nicht mehr ab. Ich gehe nicht zurück zu meinem Platz, sondern laufe nach hinten zu D. und Andi. Ich nehme ein Stück vom Leib Christie und stecke ihn Andi in den Mund, er lacht mich an und ich sage, runterschlucken, dass macht er auch. Jetzt sind wir zusammen mit Jesus Christus, alle drei Geschwister und F. auch noch, also sind wir vier Geschwister. Ich freue mich. Ich will wieder nach vorne laufen, aber D. sagt, wir gehen.

Zur Feier des Tages, gehen wir essen, wir dürfen Pommes essen und eine Cola trinken, ich liebe Cola.

D. trinkt Bier und Schnaps, ich mag den Schnaps gar nicht riechen, da wird mir immer so schlecht. Mama riecht immer so.

 

Als ich noch kleiner war und Mama lange nicht nach Hause kam, hatte ich solchen Durst, dass ich auch Schnaps getrunken habe. Mir wurde dann ganz schlecht und ich bin eingeschlafen, als ich wach wurde lag ich im Krankenhaus. Mama war schrecklich böse mit mir und hat mir Zuhause mit Seife den Mund ausgewaschen, da wurde mir gleich wieder schlecht. Kinder dürfen keinen Schnaps trinken, wenn sie nicht nach Hause gekommen wäre, als ich eingeschlafen bin, hätte sie es vielleicht gar nicht gemerkt. Mama sagt, ich wäre fast gestorben weil ich den Schnaps getrunken habe. Im Krankenhaus haben sie mich gefragt, warum ich den Schnaps getrunken habe? Ich habe nichts gesagt, ich rede nicht mit Fremden, nie.

 

Andi ist müde und quengelt, D. sagt, wir fahren nach Hause. Ich nehme Andi und wir gehen, er schläft auf meinem Arm ein, bald kann ich ihn nicht mehr tragen, er wird zu schwer, ich trage ihn immer auf der Seite auf meinen Hüften, das geht ganz gut und dann wechselt ich immer, zum Glück habe ich zwei Seiten. Wir kommen Zuhause an und gehen zum Fahrstuhl. Ich spüre auf einmal Angst und ein eigenartiges Gefühl ist in meinem Bauch. Wir sind an der Wohnungstüre, D. versucht die Türe aufzusperren aber es geht nicht, die Sicherheitskette ist von innen eingehängt, wir kommen nicht hinein. D. hämmert an die Türe, ich stelle meine Kerze in die Ecke neben der Türe und verlagere Andi auf die andere Seite. D. schreit, mach die Türe auf du verdammte Schlampe, Andi wacht auf und fängt an zu weinen, meine Mutter antwortet von der anderen Seite, der Türe, verpiss dich. D. ist ein starker Mann, er schmeißt sich gegen die Türe, das fliegt die Türe auf. Ich gehe mit Andi schnell in unser Zimmer. Ich höre Mama schreien und einen fremden Mann und ich höre D. schreien. Ich lege Andi in sein Bett und sage ihm, dass wir ganz still sein müssen. Ich räume meinen Stuhl vor die Türe und setze mich darauf, jetzt kann keiner hier rein. Mama schreit immer lauter und der fremde Mann ruft um Hilfe, dann höre ich lautes Gepolter, mein Herz schlägt ganz laut und ich habe schreckliche Angst. Ich mag es gar nicht, wenn Mama schreit, dann habe ich immer Angst um sie. Jetzt höre ich Mama rufen, Hexerl, Hexerl, komm schnell, er bringt mich um. Hexerl, Hilfe, Hilfe. Ich springe vom Stuhl, schiebe ihn weg und mache die Türe auf. Mama liegt auf den Boden, sie ist nackt und D. schlägt auf sie ein, D. tritt sie mit den Füßen und ist so zornig, wie ich es noch nie gesehen habe. Ich laufe schnell zu Mama und lege mich über sie und schreie laut, aufhören, aufhören, bitte, bitte, bitte hör auf, doch er schlägt weiter und trifft mich, meine Lippe platzt und ich schmecke Blut, er schlägt weiter auf uns ein, bis es plötzlich vorbei ist. Mein schönes weißes Kleid ist voller Blut und Kotze, Mama hat mich angekotzt und ihr Blut vermischt sich mit meinem Blut, auf meinem weißen Kleid. Plötzlich steht ein Polizist hinter D. er nimmt ihn mit. Die Polizei fragt Mama, ob sie einen Krankenwagen rufen sollen? Mama sagt nein, es wäre nicht so schlimm. Es ist schon schlimm, mein Bauch tut ganz schrecklich weh und wenn ich atme, habe ich ganz schlimme Schmerzen in der Seite. Mama sagt ich solle mich waschen und umziehen, ich gehe ins Bad und wasche mich und ziehe mir meine alten Sachen an. Mein weißes Kleid verstecke ich unter dem Bett, ich will nicht das Mama es weg wirft, es ist doch mein Schwesternkleid mit Jesus. Andi ist im Bett eingeschlafen. Mama gibt mir Geld und sagt ich solle zum Kiosk gehen und Bier holen und wenn der schon zu hat, in der Kneipe an der Ecke, dort kennt man mich schon, ich hole dort immer Bier für Mama. Ich gehe los und kann fast nicht laufen, da mir die Seite so weh tut. Meine Lippe ist ganz dick und mein Bauch tut auch weh. Ich gehe so schnell ich kann, ich lasse Andi nicht gerne alleine bei Mama. Als ich zurückkomme, nimmt Mama das Bier und geht ins Bett. Ich hole Andi aus seinem Kinderbett und lege ihn in mein Bett. Ich lege mich zu ihm und halte seine Hand und bete. Lieber Gott, lass Mama heute Nacht nicht kommen, um mich aus dem Bett zu holen, um mich zu schlagen. Ich habe abgespült und alles ordentlich gemacht. Ich war heute ein liebes Kind und habe ihr auch geholfen als D. so böse war. Bitte lass sie heute Nacht nicht kommen und mich holen. Gute Nacht lieber Gott, gute Nacht Jesus, mein Bruder. Jetzt habe ich drei Brüder.

 

Anno 1978-1983                                

 

Ich sitze mit Andi in der Küche. Es ist Nachmittag, die Sonne scheint. Seit einem halben Jahr, haben wir keinen Strom mehr. Ich besorge im Supermarkt Pichelsteiner Eintopf in Dosen und mache die Dosen in der Spüle warm, indem ich heißes Wasser über die Dose laufen lasse. So ist das Essen ein wenig warm, das mache ich auch mit Suppe aus der Dose. Ich besorge Kerzen, damit wir Abend Licht haben und ich habe D. die Haare angebrannt als er auf der Couch geschlafen hat, zum Glück hat er es gar nicht bemerkt, weil er immer fest schläft, wenn er so viel Bier getrunken hat und ich habe die Haare nur ein bisschen angebrannt. Mama sagt, sie bezahlt den Strom bald und dann haben wir auch wieder Licht. Sie ist nicht oft Zuhause, meistens bin ich mit Andi alleine. D. ist nicht wieder gekommen und ich bin froh, dass er weg ist. 

 

ER,ist auch nicht mehr da, Mama sagt:" ER, ist gestorben, ER, hatte einen Unfall.

Danke lieber Gott !!!!!!!!!   

 

An der Türe ist jemand. Die Türe schließt nicht mehr richtig, seit D. sie eingetreten hat. Fremde, Polizei, eine Frau. Ich bin fassungslos, sprachlos, verloren. Ich verstehe nichts mehr und ich gehe mit diesen Fremden.

Eine Frau und zwei Polizeiautos mit Polizisten.

Andi kommt in das eine Auto und ich in das andere. Kommen wir jetzt ins Gefängnis, weil ich immer geklaut habe? Und warum ist Andi in dem anderen Auto? er ist doch noch klein und kennt die Leute nicht, ich höre ihn laut nach mir schreien, ich schreie auch und schlage wild um mich, ich ziehe an den Haaren der fremden Frau und spucke sie an. Andi schreit laut aus dem anderen Auto nach mir, ich fühle mich, als müsste ich sterben. Es tut so weh in meinem Herzen, Andi schreien zu hören. Das andere Auto fährt los. Andis Schreien wird immer leiser, bis ich ihn nicht mehr hören kann und nicht mehr sehen.

Der Polizist legt mir Handschellen an und sagt, dies wäre nur zu meiner Sicherheit. Meine Sicherheit? Wo bin ich sicher? ich schreie und schreie und schreie, noch nie habe ich so geschrien, nicht als Mama mich geschlagen hat, nicht als Mama, die fremden Männer in der Wohnung hatte, doch jetzt schreie ich, wie ich noch nie geschrien habe und höre nicht mehr auf zu schreien, denn ich kann nicht aufhören, es schreit von selbst, dass bin nicht mehr ich, das ist etwas anderes, Fremdes, in mir, und es schreit und schreit und schreit, bis ich nicht mehr schreien kann, weil ich keine Stimme mehr habe, nur noch ein Krächzen. 

Ich werde still, ganz still.

 

Mein Herz ist kaputt, ich kann spüren, dass es jetzt kaputt ist. Es fühlt sich so an, als wäre ich in einer Tonne voller Wasser eingesperrt, ganz still ist es hier unter Wasser, ganz still. 

 

Wo ist Andi? 

Bitte, bitte lieber Gott, gib mir Andi zurück, bitte, bitte.

Tränen laufen über mein Gesicht und ich bete und bete und bete. 

Die schwere große Eichentür fällt hinter mir ins Schloss, eine Frau in eigenartiger Kleidung.

Eine Nonne, ein Kinderheim ist jetzt mein Zuhause.

Ich werde in die Wanne gesteckt, ich werde entlaust. Ich werde angezogen und ich werde aufgestellt zu den anderen und wir beten unter einem Kreuz. Wo bin ich? Wann darf ich wieder nach Hause? Wer sind die vielen Kinder und warum müssen wir zu Gott beten, der uns Kinder nicht mag?

Alles ist fremd.

Wo ist Andi? Hämmert es in meinen Ohren, ich höre ein Summen in meinen Ohren, summmmmmmmmmmm, und dann macht es bumbumbumbum,,,,,,,, ich falle um.

Ich bin wieder wach und liege auf dem Boden, alle Kinder stehen um mich herum und gucken auf mich, die Nonne ist böse und sagt, das kommt davon, wenn man ein schlimmes Kind ist. Ich bin ein schlimmes Kind. Ich schweige und mein Herz ist in ganz viele Teile zerbrochen. Ich kann die Teile spüren, wie sie in mir schlagen und alles in mir ist traurig, so traurig, ich denke daran weg zu laufen, aber dann kann Andi mich nicht finden. Wir sind 13 Kinder, verlorene Seelen im Hause Gottes. Alle von Zuhause weg geholt, alle Zuhause gepeinigt, missbraucht, misshandelt, alle wollen zurück nach Hause. Alle sind jetzt hier zusammen eingesperrt und müssen um Verzeihung bitten, bei Gott, denn wir sind schlimme Kinder, die Gott nicht lieb hat, sagt die Nonne.

Tage vergehen und ich bin nicht einfach und ich fühle mich so einsam und ich will wissen, wo Andi ist. 

 

Viele Tage später kommt Andi zu mir in das Heim. Ich sehe sein Lächeln, höre seinen Freudenschrei.

Seine Arme erdrücken mich, mit aller Kraft kindlicher Liebe und ich? ich weine.

Er ist so dünn geworden, noch dünner als er war und er ist ganz weiß im Gesicht und hat ganz schwarze Ränder unter den Augen und sein kleiner Körper zittert und seine kleinen Händen halten sich fest an mir und wollen nicht mehr los lassen. Er ist vier Jahre alt und hat das Gesicht eines alten Mannes, was haben Sie dir angetan, mein kleiner Bruder?

Ich halte ihn fest und ich verspreche ihm, alles wird gut, Andi, alles wird gut.

 

Reden über Mama, Tabu.

Reden über Gewalt, Alkohol, Sex, Tabu.

 

Nachmittag muss ich zu einem fremden Mann, er sagt. er ist ein Arzt, ich soll meine Eltern als Tiere malen und ihm erzählen, was ich so denke und fühle. Ich schweige. Denn ich rede nie mit Fremden. Ich werde als schwer erziehbar eingestuft und man überlegt, ob man mich in ein anderes Heim für schwer erziehbare Kinder, verlegen soll. Ich habe solche Angst von Andi getrennt zu werden, wenn sie das machen, bringe ich mich um, auch wenn ich dann in die Hölle komme.

 

Schwester Erna Martina ist unsere Gruppenschwester, sie ist sehr schlank, trägt immer einen grauen Rock, eine weiße Bluse und ihren Nonnenschleier. Sie ist sehr streng und bestraft die Kleinen mit dem Handbesen. Wenn die Kleinen ins Bett machen, müssen sie auf die Toilette gehen, wir haben eine große Toilette, weil wir ja viele Kinder sind, dort ist auch unser Schuhregal. Die Kleinen müssen dann den Holzhandbesen nehmen und auf sie warten. Dann haut sie den Kleinen mit den Handbesen auf den nackten Hintern, im Namen Gottes. Die Kleinen sind 2-6 Jahre alt. Ich hasse sie dafür und nehme die Kleinen dann immer auf den Arm und tröste sie. Wir Großen helfen den Kleinen immer beim waschen, wir sollen den kleinen Jungs auf den Penis schlagen, wenn er steif wird. Richard bekommt immer einen steifen Penis. Er ist drei Jahre alt. Ich schlage ihn nie und verstecke ihn immer hinter mir, damit die Nonne seinen steifen Penis nicht sieht. Später stellt sich heraus das Richard einen Leistenbruch hat, vielleicht kommt daher der steife Penis? Wir müssen jeden Tag beten und zweimal die Woche in die Kirche, wir haben eine eigene Kapelle im Haus und einen eigenen Pfarrer. Der Pfarrer riecht immer wie Mama, und hat eine rote dicke Nase. Außerdem sieht er uns Mädchen immer so komisch an, so wie die schlechten Männer von früher. Hier ist es noch schlimmer als Zuhause, denn hier lerne ich, dass Gott so ist und das hätte ich nie von Gott gedacht.

 

Jetzt weiß ich auch, warum Jesus so leiden musste. Gott ist noch viel schlimmer als Mama und alle, und noch viel strenger. 

 

Wir müssen seit neuestem am Wochenende zu unseren Großeltern. Zuerst wollten sie, das nur ich komme, denn da Andi ein Bastard ist, wollten sie ihn nicht, aber ich habe gesagt, ohne Andi komme ich auch nicht und ich will dann lieber keine Großeltern, also darf Andi jetzt mit kommen. Mein Vater aus Italien hat auch angerufen, er spricht nur schlecht Deutsch und ich kein italienisch. Er sagte, ich darf zu ihm kommen aber der Andi nicht, denn der Andi interessiert ihn nicht. Die spinnen alle. Ist doch völlig egal, wer Andis Vater ist, wir gehören zusammen. Er ist mein Bruder. Basta.

Ich will nicht nach Italien, ohne Andi gehe ich nirgends hin. Meine Eltern sind noch verheiratet, mein Vater ist offiziell der Vater von Andi. Warum kann er ihn nicht gerne haben? und was ist ein Bastard? 

 

Meine Großeltern.

Die Welt der Reichen und Erfolgreichen.

Ganz oben.

Reden über Mama, Tabu.

Reden über das, was uns wiederfahren ist, Tabu.

Montag bis Freitag sind wir Heimkinder.

Freitag bis Sonntag eine völlig andere Welt.

Diamanten, Swimmingpool und Alkohol.

Meine Mutter kommt aus "gutem Haus".

 

Als mein Großvater mich das erste male an sich zieht und seine Erektion an mir reibt, bin ich wieder auf der Flucht. Abends trinkt meine Großmutter Wein und schläft ein. Mein Großvater onaniert neben mir, es riecht nach Sperma. Es riecht so komisch.

Innerlich sterbe ich immer mehr, äußerlich versuche ich dem Anspruch an ein gutes Enkelkind gerecht zu werden. Ich fühle mich schuldig, denn ich bin Schuld, dass der Opa solche Sachen macht.   

 

Ich bin gefangen. Nur mit Andi bin ich sicher, ihn auf meinem Schoß und ich bin abgeriegelt. Solange er da ist, bin ich sicher. Doch jetzt ist er im Bett. Der Verrat an uns ist perfekt. 

 

Ich habe herausgefunden, dass ich einfach in die Tonne gehen kann, da ist es still, ganz still. 

 

Himmel der keine Gnade kennt, Himmel der die Sperlinge entsendet, um die verlorenen Kinderseelen einzuholen. Himmel, warum hörst du mein Flehen nicht? 

 

Meine Großmutter, weiß, was mein Großvater da macht.

Sie ertränkt ihr Wissen in Wein und kauft mir schöne Sachen.

Hat mein Großvater mit meiner Mutter auch solche Sachen gemacht? War meine Mutter auch, auf der Flucht, so wie ich? Ist sie deshalb so geworden? Hat meine Großmutter ihr damals auch schöne Sachen gekauft und getrunken und die Augen geschlossen? Bitte lieber Gott, mach, dass ich nicht mehr zu meinen Großeltern muss. 

 

Jetzt bin ich immer öfters in der Tonne, hier ist es still, ganz still. 

 

Meine Großmutter fährt morgens zum Schlachthof in ihr Büro und mein Großvater kommt in mein Zimmer. Ich bin so froh, wenn wir Sonntagnachmittag wieder ins Heim dürfen. Manchmal gefällt mir sogar, was der Opa da mit mir macht und dann habe ich ein schlechtes Gewissen, denn ich bin schuld, dass er das mit mir macht. Die Nonne sagt, Mädchen wie ich, mit großen Brüsten und Periode, sind schlechte Mädchen. 

 

Ich habe Rasierklingen geklaut, richtige scharfe Klingen, die habe ich jetzt immer in meiner Schultasche. Und wenn es mir ganz schlecht geht, nehme ich sie in die Hand und denke, wenn du es nicht mehr aushältst, kannst du jetzt einfach gehen.

Der Gedanke beruhigt mich. 

 

Mama kommt.

Andi, Mama kommt uns besuchen. Ich konnte es nicht fassen, sie kam uns besuchen. Ich war so aufgeregt und freute mich so sehr.

All die Jahre habe ich von einer besseren Welt geträumt. Jetzt kam sie, um uns endlich hier weg zu holen. Wie glücklich bin ich. Danke, lieber Gott, danke, du hast uns doch lieb.

Wir fahren in ihre Bleibe. Es hat sich nichts geändert.

Wieder einmal mehr, ein leeres Versprechen, alles wird gut.

Es riecht nach Alkohol, Katzenpisse, Urin, Essensreste und kaltem Zigarettenrauch.

Wir sind Zuhause.

Als Mama betrunken einschläft, fahre ich mit Andi in einem Taxi zurück. Zurück in das Kinderheim mit den Nonnen und den Kreuzen an der Wand. Mit dem Kirchgang am Mittwoch und am Sonntag. Ich beichte im Beichtstuhl der Hauskirche, dass ich meiner Mutter Geld gestohlen habe. Ich muss mir darüber im Klaren sein, dass dies eine Sünde sei und 3 Vaterunser beten. Dass ich das Geld für das Taxi stahl, habe ich nicht gesagt, denn dafür schäme ich mich. Dass meine Mama, mich einfach nicht lieb hat, weil ich schlecht bin, dafür schäme ich mich sehr. Wie viele Vaterunser muss ich da wohl beten?

Jetzt sitze ich immer öfter in der Tonne und es ist ganz still. 

 

Ich fahre mit Andi jedes Wochenende und in den Ferien zu unseren Großeltern. Ich gehe mit dem Hund meiner Großeltern oft spazieren, da kann ich rauchen und von einer besseren Welt träumen. Unser Hund ist mein Freund und ich bin so glücklich, dass er da ist, ohne ihn wäre es noch schlimmer, zu meinen Großeltern zu müssen.

Unser Hund ist sehr krank, der Tierarzt weiß auch nicht , was er hat, ich fahre jetzt jeden Tag mit der S Bahn zu meinen Großeltern und füttere ihn aus der Hand, denn so frisst er zumindest ein wenig. Ohne mich, frisst er gar nicht mehr, er ist ganz dünn und ganz schwach geworden. Ich bete jeden Tag in der Kapelle, bitte lieber Gott, mach unseren Hund gesund, ich will auch alles dafür tun auch lieb zu meinem Großvater sein, ich mache alles, alles, aber bitte mach unseren Hund gesund.

Freitag, unser Großvater kommt uns abholen, er kommt immer so gegen 16 Uhr und holt uns vor der Heim Türe ab, er geht nie in das Heim.

Er wartet im Auto und raucht Pfeife, Andi und mir wird es immer schlecht im Auto, uns würgt es dann und wir schlucken die Kotze wieder runter. Wir sind brave Kinder. Aber es ist auch schon passiert, dass Andi wirklich ins Auto gekotzt hat. Dann musste ich das Auto putzen. Eigentlich mache ich das gerne, weil ich dann nicht im Haus bei meinen Großeltern sein muss.

Wir kommen bei unseren Großeltern an, am Gartenzaun wartet sonst immer unser Hund, Heute ist er nicht da.

Ich frage meinen Großvater, wo ist Rigo?

Er ist Tod.

Mehr erfahre ich nicht, ich will wissen, wo er beerdigt wurde, irgendwo in dem großen Garten? mein Großvater gibt mir das Halsband unseres Hundes, ich nehme es und gehe in die Tonne, still, ganz still ist es.

Warum sterbe ich nicht ? 

 

Anno 1984 

 

Ich bin volljährig, verlasse das Heim mit einem Koffer und keinen Pfennig in der Tasche. Nie wieder werde ich am Wochenende zu meinen Großeltern müssen. Ich bin frei und alleine. Andi fehlt mir. Er wird nicht verstehen, warum ich gehe. Ich fahre zu einem Freund. 

 

18 Jahre liegen nun hinter mir.

 

6570 Tage, 157680 Stunden, in meinem Leben.

 

Und nicht eine davon angstfrei. 

 

Missbrauch, Lügen, Erniedrigung, Gewalt, Dressur. 

 

Zuerst Zuhause und dann im Namen Gottes im Kinderheim.

 

Unsere Großeltern, deren Pädophiles Innerstes, unter dem Deckmantel der Großzügigkeit, verborgen lag, machten uns zu Marionetten ihrer Vorstellung, null Identität. 

 

Wer bin ich?  

Das Kind in der Tonne, ganz still ist es hier, ganz still.  

 

Anno 1985 

 

Ich bin anders, als die anderen und ich weiß nicht, was ich jetzt genau machen werde. Mein Freund raucht Cannabis und ich auch, da vergesse ich die Sorgen. Ich habe einen Job in einer Kneipe, da helfe ich in der Küche, abspülen, Salat machen usw. Ich schreibe täglich in mein Tagebuch, schreiben macht mir Spaß und ich vergesse, wie traurig ich bin. 

 

Ich denke immer an Andi und vermisse ihn so sehr.

 

Ich bin immer traurig und ich habe immer Rasierklingen in der Tasche, ohne sie, fühle ich mich verloren. 

 

Anno 1986 

 

Ich schlafe unter einer Tischtennisplatte, ich habe keine Wohnung und kein Geld und bin schwanger. 

Ich denke oft an den Tod und wie einfach es doch wäre, sich die Pulsadern auf zu schneiden. 

Ich denke immer an Andi und an Mama und die Zeit damals.

Bin ich schuld?

Was habe ich falsch gemacht?

Warum ich? Warum? Warum? Warum?

 

Warum hat Gott mich nicht lieb? Warum lässt Gott seine Kinder so leiden? Warum? 

 

Es regnet und der Regen prasselt über mir auf die Steinplatte. Dies ist meine letzte Füllerpatrone, ich habe Angst, nicht mehr schreiben zu können, weil ich keine Patronen mehr habe, ohne schreiben ist, als wäre ich Tod.

 

Ich bekomme eine Wohnung und Unterstützung vom Sozialamt. Jetzt gehe ich in das Krankenhaus indem ich auch entbinden werde und wenn ich aus dem Krankenhaus entlassen werde, kann ich in meine Wohnung ziehen. Ich freue mich und bin glücklich. Ich denke an Andi und das er Onkel wird, er würde mein Kind bestimmt mögen. 

 

Ich habe ein Kind bekommen.

Ich weiß nichts von, wie erziehe ich ein Kind?

ich weiß nichts von Mama-Papa-Kind-Familie.

Ich weiß nichts von Liebe, Vertrauen, Sicherheit, Obhut. 

Ich weiß, meine Tochter ist mein Sonnenschein. 

 

Ich habe meine Großeltern besucht, mit meiner Tochter. Meine Oma sagt, der Opa darf nicht wissen, dass ich da war und der Andi möchte nichts mehr mit mir zu tun haben. Meine Großmutter gibt mir Geld und schickt mich weg. Jetzt weine ich und die Seiten meines Tagebuches werden ganz nass. Ich bin schuld, dass Andi mich nicht mehr lieb hat.  

Ich bin schuld, dass Mama und meine Großeltern mich nicht lieb haben, weil ich so bin, wie ich bin.

  

Anno 1987- 1997 

 

Ich habe eine wundervolle Tochter, ich habe eine Firma, ich habe ein Leben.

Meine Tagebücher füllen sich mit, es geht mir nicht gut. 

Warum geht es mir nicht gut? 

 

Ich habe Kontakt zu Andi aufgenommen, wir treffen uns heimlich, damit er keinen Ärger mit unseren Großeltern bekommt. Er lebt inzwischen fest bei unseren Großeltern und ist nicht glücklich. Er hat eine Verlobte, die er nicht liebt und eine Freundin, die er liebt, er traut sich aber nicht unseren Großeltern davon zu erzählen, denn die Verlobte ist angebracht und die Liebe, ist es nicht. Er ist Berufssoldat geworden und sucht Erlösung auf seine Weise, er möchte unbedingt in Krisengebiete eingesetzt werden, das ist seine Tonne. 

Wir reden und gehen Hand in Hand spazieren, wir sind glücklich wieder zusammen zu sein. Es ist soooooooooooo schön seine Hand zu halten. Ich spüre, dass auch er, genau wie ich, anders ist und das die Zeit bei unserer Mutter, im Heim und bei unseren Großeltern, uns anders gemacht hat. Wir beide verkaufen uns als toll, sind es aber nicht. Ich kann seinen Schmerz spüren und er den meinen.

 

Jetzt wird alles gut, wir sind zusammen, gemeinsam schaffen wir das.  

 

Andi hat mir verziehen. Ich habe ihn nie im Stich gelassen, er glaubt mir, dass ich gehen musste. Er fragt nicht warum. Ich bin so froh, wir sind wieder zusammen. Immer noch bin ich anders, immer noch laufe ich dem hinterher, was normal ist, was ist normal? ich bin es nicht. Andi ist es nicht. 

Wer sind wir? 

Ich sitze oft in der Tonne, Andi ebenso. 

Ich versuche eine Beziehung zu führen, doch ich komme nicht gut klar mit emotionalen Dingen. Ich komme mit vielem nicht klar. Zum Glück habe ich die Firma und meine Tochter. Was würde ich ohne Arbeit machen? manchmal bin ich müde. Ich bin nicht alleine, dass denke ich, es gibt mit Sicherheit andere, die ebenso wie ich, eine Normalität leben, die es gar nicht in ihnen gibt. Wie jung ich bin und wie traurig. Jetzt wird es besser, Andi und ich sind wieder zusammen. 

 

Anno 1998

 

Andi in meinen Armen, verängstigt.

 

Andi vor mir, ein erwachsener Mann, der mich in seine Arme nimmt. Und das erste male in meinem Leben spüre ich Frieden. So unendlich tiefen Frieden. Ein stilles Gefühl der Demut. Andi, der mit seinem Lachen, meine Welt in Ordnung bringt. Er erzählt mir von seinem Traum. 

Ich werde fliegen, sagt er, Nelly ich werde fliegen.

Hubschraubernavigator bei der Bundeswehr.

Ich bin stolz, so unsagbar stolz auf meinen Bruder. 

Ich höre das Lachen eines erwachsenen Mannes und ich sehe das Lachen eines Kindes und beides vereinigt sich in mir zu einem Gefühl der Dankbarkeit. Ich bin nicht mehr böse auf Gott. Ich danke Gott, danke ihm dafür, dass mein Bruder, nun hier bei mir ist. In meiner Küche, in meinem Haus.

Meine Tochter erzählt Andi von ihrem Leben und er erzählt uns von seinem Leben.

 

Ich möchte jubeln, möchte dieses Kribbeln der Glückseligkeit, welches tief in meinem Bauch die Leere füllt, für die Ewigkeit einfangen. 

 

Und abends höre ich, wie Andi die Melodie summt, während er in der Badewanne sitzt. 

Ich stimme glücklich ein.

 

Andi will zu mir in die Nähe ziehen, er lässt sich hierher versetzen und will ein Haus kaufen oder mieten, er möchte die Verlobung auflösen und mit seiner Freundin, die er liebt, zusammen ziehen, er möchte Kinder und ich soll die Patin werden, ich freue mich so sehr. Ich suche jetzt ein schönes Haus für ihn, damit wir zusammen sein können und ich und er, werden es gemeinsam schaffen, nicht mehr traurig zu sein.

Die Tonnen werden sich auflösen und wir werden nie wieder, unter Wasser sein. 

 

Anno 1999 

 

Das Telefon klingelt. Ich gehe ran.

 

Andi ist Tod. 

 

Stille 

 

Ich zerfalle.

 

Die Tonne wird verschlossen mit einem Deckel.           

 

So unendlich alleine.

 

Meine Tochter, mein Leben, mein Ich.

 

Ich habe mich verloren, hatte mich vielleicht niemals, doch ich hatte Andi. Er war mein Ritter, der Zeuge und Schutz mir war. Nun habe ich kein Ziel mehr. Wohin führt mich dieser Weg? Ich werde nie ankommen, ich werde niemals Frieden finden.

 

Lauf Nelly, lauf. 

 

Ich habe die Melodie verloren.  

 

In mir ist so eine Leere, ich befinde mich irgendwo zwischen den Welten. Nichts hat mehr ein Bild. Zielloses Wandern in einem dunklen Tal der Verzweiflung. 

 

Andi, dein Tod hat mich aus meinem Schatten geholt, um mich in dieses grelle Licht zu stellen.   

Andi, mein Herz erblindet

 

 

 

Lauf… Krieger … lauf 

schneller Krieger schneller 

in deinem Atem Glück 

in deiner Lunge pure Luft 

Atem der Erkenntnis 

lauf…. Krieger… lauf 

die Kraft von tausend gewonnenen Kämpfen.  

 

Und der Himmel 

der Himmel Krieger 

er schenkt deinem Lauf stummes Geleit 

im sonnendurchflutetem Licht 

bekommt die Seele neuen Glanz 

und Krieger 

vergiss das Atmen nicht. 

 

Stetig 

stetig Krieger…. folgt dir die Erinnerung 

Erlebtes Gefühltes Empfindung Schmerz Glück 

im tanzendem Reigen 

lauf… Krieger… lauf… 

atme Krieger atme.

 

 

 

Kleiner Bruder,

 

ich stehe an deinem Grab, du wirst in der Familiengruft  unserer Großeltern beerdigt. 

Auf dem Grabstein stehen der Vor und Nachnahme unserer Großmutter und jetzt auch dein Vorname.

Unseren Familiennamen gibt es nicht, sie nehmen dir deinen Namen ebenso, wie mir, den meinen. 

Meine Augen sind blind vor Tränen. Ich halte die Hand meiner Tochter und lege meinen Brief an Dich, in das Grab. 

Ich habe dir geschrieben, dass ich nicht böse bin, weil du gegangen bist, ich bin unendlich traurig, vermisse dich und denke immer an dich, du bist die Liebe meines Lebens, kleiner Bruder. Ich werde dich ewig in meinem Herzen tragen, dass nun nur noch ein Haufen Scherben ist. Meine Tochter hält mich in dieser Welt, jedoch es wird die Zeit kommen, in der wir wieder zusammen sind, einmal sehen wir uns wieder. Ich liebe dich Andi. Unzählige Menschen sind hier, um dich zur Ruhe zu betten, doch es gibt keine Ruhe hier, denn du bist nicht hier, du bist in meinem Herzen und ich nehme dich mit fort von hier, zu mir. 

 

Lass uns gehen, Andi.

 

Ich drehe mich um und gehe. 

Mit meiner Tochter Hand in Hand und mit dieser Stille in mir. Alles was ich hier lasse, ist Gott, denn ihn, möchte ich nie, nie wieder in meinem Leben haben, er hat mir alles genommen.

All die Jahre habe ich um unser Leben gekämpft, Hunger, Qual, Leid, Erniedrigung, alles umsonst. 

 

Andi ist Tod. 

 

Ich habe meine drei Brüder verloren. 

Gott des Schmerzes und Leidens. 

 

Ich versuche eine gute Mutter zu sein, ich liebe meine Tochter und auch wenn ich nichts von Liebe und Vertrauen weiß, so versuche ich meiner Tochter eine gute Mutter zu sein. Als sie noch sehr klein war, habe ich sie einmal geschlagen, so wie ich geschlagen wurde. Sie war die ganze Zeit sehr unruhig und mir ist der Kragen geplatzt und ich habe sie geschlagen und geschlagen. Irgendetwas ist mit mir geschehen und ich war nicht mehr Herr der Lage, als es vorüber war, lag sie in meinen Armen und war ganz still. In diesem Moment habe ich mich gehasst und mir geschworen, dass ich mein Kind nie wieder schlagen werde. Genau wie meine Mutter, du bist genau wie sie, denke ich und bin traurig, dass ich so bin. 

  

Anno 2000

 

Ich habe die Adresse meiner Mutter herausgefunden, warum suche ich den Kontakt zu ihr? 

Seitdem Andi Tod ist, denke ich oft an früher, an Zuhause, an Mama, an ihren Zuhälter, die Männer in unserer Wohnung, an die Stunden voller Angst, an die Zeit als ich in der Kneipe unter dem Tisch saß, während Mama trank und mit Männern rum machte. Ich fahre nach M. ich muss meine Mutter sehen, warum weiß ich nicht. 

Ich bin 8 Stunden unterwegs und komme an der Adresse an. Es ist ein runtergekommener Beton Platenbau mit zerbrochenen Fensterscheiben und demolierten Briefkästen. Am Eingang ist so eine Art Zentrale, dort frage ich nach meiner Mutter und in welchem Zimmer sie wohnt. Der Mann hinter der Glasscheibe blättert in einem Karteikasten und meint, er kann den Namen meiner Mutter nicht finden, meint jedoch zu wissen, dass es eine R.P. hier gibt. Ich bedanke mich und betrete durch den Flur das Erdgeschoss. Zimmertüre an Zimmertüre, reihen sich aneinander. Dies hier ist ein Asylantenheim. Hier leben viele Menschen unterschiedlicher Kulturen, auf engsten Raum zusammen. Es riecht nach Urin, orientalischen Gewürzen und abgestandener Luft. Es riecht so komisch. 

Ich beginne an der Zimmertüre 001, klopfe und frage nach meiner Mutter.Unzählige Türen auf 6 Stockwerke verteilt liegen vor mir, hinter einer dieser Türen lebt meine Mutter, ich spüre, dass es so ist. Also gehe ich von Türe zu Türe und klopfe und frage nach meiner Mutter. Ich sehe unglaubliche Lebensverhältnisse, hinter diesen dünnen Sperrholztüren, mit der abgeblätterten Farbe und fühle gar nichts. I

Ich bin in der Tonne. 

Ganze Familien leben auf engsten Raum unter erbärmlichen Zuständen hier in diesen kleinen Räumen.

Ein Zimmer, Kochnische, Dusche. 

Kinderstimmen hallen durch den Flur, aus einigen Zimmer dröhnt laute Musik, aus anderen lautes Gezeter, Zank, Streit, alles auf einmal und dann noch dieser Geruch und es ist ein heißer Augusttag, wie lange habe ich nicht geschlafen? 

Im Erdgeschoss habe ich alle Zimmer durch, ich gehe in den ersten Stock und beginne wieder an die Türen zu klopfen. Nun gehe ich in den zweiten Stock, bisher habe ich meine Mutter nicht gefunden. 

Ein dunkelhäutiger Mann ca. Anfang 30, öffnet mir die Türe. Ich sage meinen Spruch und er meint, er kenne meine Mutter, ob ich nicht rein kommen möchte und zuerst einen Kaffee bei ihm trinken will? ich würde müde aussehen. Nein, ich bin nicht müde, nur still. 

Ja, danke, Kaffee und Zigarette, wären super. Ich betrete das kleine Zimmer und sehe über Schmutz und Chaos hinweg, so bin ich aufgewachsen, als ob mich schimmlige Essensreste und kaputtes Mobiliar erschrecken könnten. Nun sitze ich hier auf einen schmutzigen Stuhl und trinke Kaffee aus einer halbwegs sauberen Tasse. Der Mann sieht mich an und wir unterhalten uns, sein Deutsch ist sehr gut und man merkt, dass er gebildet ist. Ich höre mir seine Lebensgeschichte an und denke für mich, wie viel Leid es doch gibt, auf dieser Welt, und wie ungerecht sie ist, diese Welt. K. so heißt der Mann meint, es wäre nicht ungefährlich, hier in diesem Haus für eine junge Frau, alleine. „ ich gehe hier nicht weg, bis ich meine Mutter gefunden habe“ erwidere ich. K. sagt:“ ich solle in Ruhe meinen Kaffee austrinken und dann würde er mich begleiten“, er glaubt meine Mutter wohne im vierten Stock. 

Gemeinsam mit K. beginne ich im vierten Stock an die Türen zu klopfen. Hinter einer dieser Türen sieht mich ein Mann mit fettigen Haaren und fehlenden Zähnen ganz erstaunt an, als ich sage ich such R.P.,“ hier ist jemand der behauptet , deine Tochter zu sein“, schreit er nach hinten in das Zimmer. Ich bedanke mich bei K. und wünsche ihm einen schönen Tag. Ich gehe an dem fremden Mann vorbei und stehe im Zimmer. Auf der Couch sitzt meine Mutter, sie ist betrunken und noch fetter als früher. Ihre Haut ist aschgrau und es riecht komisch in diesem Raum. Ich bin Zuhause. 

„Hexerl, wie schön dich zu sehen, weißt du, dass der Andi Tod ist, mein lieber braver Junge, warum musste er nur sterben, warum er, und nicht du, du bist immer schon schwierig gewesen, er war immer lieb, lallt meine Mutter. 

Ja, warum darf er sterben und ich muss leben, denke ich. 

Ich sehe meine Mutter an und selbst jetzt kann ich nicht wirklich böse mit ihr sein. Ich sehe ihren erbarmungswürdigen Zustand, den runtergekommenen Typen, mit dem sie zusammen lebt, sehe die Katzen in der Ecke liegen und denke, es ist wie immer. Ich bleibe ca. 1 Stunde. Mama trinkt und heult mir vor, wie schlimm Andis Tod doch ist. Sie hat Geld bekommen vom Staat, für Andis Tod und mein Vater in Italien ebenso. Da Andi ein Soldat war, haben die beiden Geld für seinen Tod bekommen. Ein Begräbnis in allen Ehren für meinen Bruder und Geld für seine Eltern. So wird das bei gefallenen Soldaten gehandhabt. Mir wird schlecht und ich stehe auf. Mama hat das Geld genommen und mein Vater, der Andi als Bastard beschimpfte, hat das Geld genommen, wie buchstabiert man Ehre? Dass Geld ist weg. Alkohol und Freunde des Alkohols sorgen dafür, das Geld immer weg ist. Meine Mutter hat eine Menge Geld versoffen, unter anderem ein Erbe von ca. 900.000,- Mark, fast eine Million, das ist meine Mutter. 

Sie fragt mich nach Geld, ich gebe ihr, was ich einstecken habe und verlasse das Zimmer und das Gebäude. Ich sitze in meinem Auto und fahre in den Wald.

Im Wald weine ich und nehme die Rasierklinge aus meiner Tasche.

Ich möchte gerne bei Andi sein. 

Wo bist du Andi? 

Ich fahre nach Hause zu meiner Tochter.